Der Stift und das Papier als bewährte
Werkzeuge für eine bessere Zukunft:
Warum uns Schreiben hilft,
in einer herausfordernden Welt
nicht kaputt zu gehen und
sowohl unsere Persönlichkeit als auch
neue Perspektiven zu entwickeln.
Der Stift und das Papier als bewährte Werkzeuge für eine bessere Zukunft:
Warum uns Schreiben hilft, in einer herausfordernden Welt nicht kaputt zu gehen und sowohl unsere Persönlichkeit als auch neue Perspektiven zu entwickeln.
Resilienz. Da steht es, das Wort, in der Studie Future Skills ↗ (Samochewiec, 2020), die im Corona-Frühling erschienen ist. Darin werden vier Szenarien für das Jahr 2050 skizziert und davon abgeleitet, welche Fähigkeiten für diese Zukünfte notwendig sind. Im Fokus stehen also Fertigkeiten, welche wir in Anbetracht des Wandels kultivieren und fördern sollten. Dass in der Studie das Wort Resilienz auftaucht, Stressresilienz, ist wenig überraschend. Wir leben in einer äusserst komplexen, herausfordernden Welt, und mit Strapazen ist – sorry – weiterhin zu rechnen. Denn dass uns der Plastikmüll bis zum Halse steht, gefährliche Narzissten an der Macht ihre Kraft aus der Spaltung der Gesellschaft ziehen, eine Pandemie die Welt herausfordert, wir uns mit den Folgen des rigorosen Kapitalismus sowie dem Klimawandel konfrontiert sehen … Das schleckt keine Geiss weg. Und nicht nur in der Menschheitsgeschichte sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Zukunft so ungewiss und potenziell ungemütlich scheint, wie schon lange nicht mehr. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass wir in den kommenden Jahren auch mit individuellen, also persönlichen, schmerzhaften Erlebnissen konfrontiert werden – vielleicht mit einer Scheidung, einem Stellenverlust, einer Krankheit, dem Abschied von geliebten Freund*innen und Familienmitgliedern. Natürlich trifft es nicht alle gleich wuchtig, sind Glück und Unglück ungleichmässig verteilt. Für manche wird es besonders hart, andere mögen glimpflich davonkommen. Aber niemand geht einen langen Weg, ohne sich irgendwann mit potenziell kritischen Lebensereignissen konfrontiert zu sehen. Schmerz, Verluste, Rückschläge gehören zum Menschsein dazu. Die Frage ist, wie wir das, was uns widerfährt, bewältigen. Und nicht zuletzt: wie wir mit dem Altern umgehen. Dem Sterben. Dem Tod.
Zerreissproben in Sicht und Sein
Viele von uns verdrängen mit angstgetriebener Verbissenheit, dass nicht nur die Ressourcen unseres Planeten beschränkt sind, sondern auch die eigenen Lebenskräfte. Ja, unser persönliches Dasein ist endlich. Unser Personsein ist endlich. Und obgleich wir die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Dekaden beachtlich steigern konnten, die fortschreitende Technik den Traum vom ewigen Sein befeuert: Media vita in morte sumus. Was schon vor 1000 Jahren mit Nachdruck gesungen wurde, ist noch immer wahr. Inmitten des Lebens sind wir vom Tode umfangen. Natürlich ist uns und unseren Liebsten zu wünschen, dass wir noch lange leben – wenn denn das Leben noch lange Qualität hat. Aber selbst im besten aller guten Fälle sieht’s für uns nicht nur rosa aus. Goethe jedenfalls war überzeugt, dass alt werden Summa Summarum niemals erquicklich sei. Und der römische Philosoph Seneca nannte das Alter gar eine unheilbare Krankheit. Unbestritten ist: Der Körper kommt im Verlaufe der Zeit an seine Grenzen – teils verflüchtigt sich auch der Geist. Das kann äusserst schmerzhaft sein, für die Betroffenen selbst, aber auch für deren Angehörige. Gerade in einer Zeit und Gesellschaft, in der in erster Linie Jugend und Schönheit zelebriert werden, alle aktiv, attraktiv, im Saft zu sein haben, in der Kraft, kann uns überfordern und überrumpeln, dass uns die Zeit zeichnet, dass sie uns klare Grenzen setzt und letztlich auflöst. Jedenfalls jene Manifestation zersetzt, mit der wir uns identifizieren, in der unser Ego logiert. Wie also können wir solch heftigen Herausforderungen betreffend unserer kollektiven, gesellschaftlichen sowie individuellen, persönlichen Zukunft «gesund» begegnen?
So steht es, so dreht es, so geht es …
Bevor wir überlegen, wie der Mensch aufgestellt sein muss, um auch in schwierigen Lebenslagen nicht unterzugehen, lohnt es sich, über Gesundheit an sich nachzudenken und sich zu fragen, wofür dieser Begriff denn eigentlich steht. Die wohl bekannteste Definition wurde durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegeben: «Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.» Eine ebenfalls prominente, ergänzende Definition liefert der deutsche Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann: «Gesundheit ist der Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äusseren Lebensbedingungen befindet.» (Hurrelmann, 1990)
Einfacher formuliert: Gesundheit hängt mit der Bewältigung von inneren und äusseren Herausforderungen zusammen, ist somit kein passiver Zustand, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebenslauf.
Zurück zur Resilienz
Man muss sich das Wort mal von der Zunge rollen und es mit einem langen Zzz am Schluss genüsslich ausklingen lassen. Es laut und deutlich sagen. Resilienz. Das klingt etwas bockig, punkig, störrisch. Tatsächlich geht es dabei um Widerstand, aber um eine Form des Widerstandes, die an Bambus erinnert, nicht an Stein, nicht an Mauern. Der Begriff, heisst es auf der Webseite des Resilienz Zentrum Schweiz, sei ursprünglich im Kontext der Materialwissenschaft verwendet worden und beschreibe die Fähigkeit, nach einer elastischen Verformung wieder die Ursprungsform erlangen zu können. Und weiter: «Das Wort Resilienz kommt aus dem lateinischen resilire und bedeutet zurückspringen oder abprallen. Das Englische Wort resilience beinhaltet zusätzlich die Veränderungskompetenz (Überlebens- und Anpassungsfähigkeit), was für unseren Zeitgeist sehr wichtig ist.»
Aber was, kann man sich nun fragen, trägt zu dieser fürs Überleben elementaren Kompetenz bei? Woraus besteht Resilienz? Wie heissen die einzelnen Bauteile? Bei der Resilienz-Akademie in Göttingen stossen wir u.a. auf die sieben Säulen der Resilienz. Letztere sind an das Modell von Franziska Wiebel angelehnt, einer promovierten Molekular- und Evolutionsbiologin, die als zertifizierte Trainerin, Burnout-Beraterin und Coachin arbeitet.
Vier Grundhaltungen
1 AKZEPTANZ | Und zwar dessen, was nicht geändert werden kann und sich noch nicht verändern lässt. Mit Akzeptanz sind zudem die Selbstakzeptanz (kognitiv) sowie die Selbstannahme (emotional) gemeint.
2 BINDUNG | Diese Säule bezieht sich auf das menschliche Grundbedürfnis nach Kontakt sowie im Detail auf die Bindung zu sich selbst, anderen Menschen, Gruppen und ganzen Systemen. Es geht darum, sich nicht allein, sondern zusammengehörig zu fühlen.
3 LÖSUNGSORIENTIERUNG | Wer den Blick nicht im Problem verliert, sondern sich wohlgeformte Ziele formuliert und anvisiert, wer also eine wertbasierte, lösungsorientierte Haltung einnimmt, erleichtert sich den Zugang zu den eigenen Ressourcen.
4 GESUNDER OPTIMISMUS | Damit ist nicht der Blick durch die rosarote Brille gemeint, sondern ein realistischer Optimismus, der auch den Pessimismus als evolutionär bedingte Überlebenskompetenz würdigt. Mit gesundem Optimismus ist auch Dankbarkeit verbunden.
Drei Praktiken
5 SELBSTWAHRNEHMUNG | Wenn wir eine gute und starke Beziehung zu uns selber aufbauen, können wir auch die Signale des Körpers wahrnehmen und besser einordnen. Bei dieser Praxis geht es um die Schärfung der Sinne sowie um Achtsamkeit.
6 SELBSTREFLEXION | Bei der Praxis von Selbstreflexion nehmen wir eine Meta-Position ein, betrachten uns also von aussen und reflektieren Reaktionen sowie unsere Denk- und Gefühlsmuster. So lernen wir auch unsere Bedürfnisse besser kennen.
7 SELBSTWIRKSAMKEIT | Bei der siebten und letzten Säule geht es schliesslich um das Wissen um die eigene Wirksamkeit, also darum, sich nicht fremden Mächten ausgeliefert zu fühlen, sondern sich auch unter Stress an wertvolle Ressourcen, Fähigkeiten und Muster zu erinnern, die dabei helfen, Probleme zu lösen und Krisen zu überwinden.
Widerstandsfähigkeit dank Kreativität
Im Resilienz Zentrum Schweiz wird nicht mit sieben Säulen, sondern einem achtteiligen Rad gearbeitet, bei dem auch Kreativität als wichtiger Bestandteil für psychische Widerstandsfähigkeit erachtet wird, also das Fördern und Pflegen der eigenen Schöpfungskraft.
Spätestens jetzt sollten wir an den Stift denken und daran, wie wir schreibend experimentieren und kreieren können. Und natürlich gibt es neben dem Schreiben noch 1001 weitere Möglichkeiten, fantasievoll und künstlerisch tätig zu sein. Wir können malen, tanzen, Musik machen, nähen, im Garten zur Tat schreiten, die Erde kneten und Welten kreieren, die nach Lavendel und Thymian riechen und schmecken wie sonnengereifte Tomaten.
Schreiben als Werkzeug drängt sich aber auch deshalb auf, da hinter Resilienz ein komplexer psychischer Mechanismus aus vielen einzelnen Faktoren steckt. Schreibend lässt sich all das trainieren, entwickeln, verfeinern, was mit den Säulen-Wörtern beschrieben wird. Schreibend lässt sich all das erforschen, erweitern, ausprobieren, was mit der Kreativität im Rade dreht. Schreibend können wir Verletzungen erkennen und benennen – und zugleich seelisch robust sein, uns stärken. Mit einem Stift in der Hand, einer Tastatur unter unseren tanzenden Fingern.
Wenn wir uns nun nochmals das Rad vor Augen führen, bzw. die einzelnen Bestandteile von Resilienz, und sie mit Erkenntnissen aus der Schreibforschung verbinden, erhalten wir eine kraftvolle, ermutigende Bestätigung: nämlich die, dass uns mit Schreiben ein wertvolles Tool zur Verfügung steht, welches uns darin unterstützt, trotz widriger Umstände zu gedeihen.
AKZEPTANZ
Schon der antike Philosoph Epiktet soll zu seinen Schülern gesagt haben: «Wir können die Dinge nicht ändern, aber wir können unsere Haltung gegenüber den Dingen ändern.» Ein erster Schritt hin zur Resilienz ist aber nicht die alternative Bewertung, also ein Refraiming der Situation, sondern, dass man dem Übel zuerst mal ins Gesicht schaut, damit verbundene Gefühle registriert. Oder in den Worten der US-amerikanischen Psychologin Marsha Lineham, welche die Übung Radikale Akzeptanz in ihr Fertigkeitentraining zur Emotionsregulation integriert: «Ich leiste keinen Widerstand, übe keinen Druck aus, laufe nicht davor weg. Ich stelle mich innerlich vor mein Gefühl, betrachte es und lasse es da sein. Erst einmal nur das. Nichts weiter.» (Zeug, 2017)
Beobachten, betrachten und beschreiben, ohne zu werten. Das ist eine Form der Akzeptanz, die sich gerade auch in der schriftlichen Form trainieren lässt.
BINDUNG / NETZWERKORIENTIERUNG
In den ersten Wochen des Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie wurde vielen von uns bewusst, wie wichtig es für unser Wohlbefinden ist, nicht isoliert, sondern in Verbindung mit anderen zu sein.
Einige haben das Briefe- und Postkartenschreiben als Form der Annäherung und Beziehungspflege (wieder-)entdeckt, einen Blog oder virtuelle Schreibgruppen ins Leben gerufen, sich auf Social Media zu Wort gemeldet. Ein solches Schreiben ist immer auch soziales Handeln. Aber selbst introvertiertes Tagebuchschreiben kann uns sozial den Rücken stärken, gerade auch dann, wenn wir uns alleingelassen fühlen mit unseren Problemen.
Schreiben über ein stressreiches Erlebnis ist vor allem für Menschen mit grosser Angst vor Ablehnung hilfreich und kann zu einer Stimmungsverbesserung beitragen. Letztere macht im Alltag offener und gewandter, was wiederum die soziale Integration fördert und vermehrt soziale Unterstützung erfahrbar macht (Ko&Kuo, 2009; Baker & Moore, 2008).
LÖSUNGSORIENTIERUNG / ZUKUNFTSORIENTIERUNG
Schreiben kann uns auch helfen, Erfahrungen auf eine Weise zugänglich zu machen, die es ermöglicht, Visionen und Ziele sowohl in der Gegenwart als auch für die Zukunft zu identifizieren, zu visualisieren und umzusetzen (Oettingen et al., 2001). Das schriftliche Formulieren von Zielen wird nicht zuletzt im Business-Kontext empfohlen, beispielsweise in den vielbeachteten Büchern von Jörg Knoblauch, Brian Tracy und Rainer Zitelmann. Die Autoren berufen sich dabei auf eine legendäre HarvardStudie aus dem Jahr 1979, welche den Werdegang von Absolvent*innen untersucht und ergeben habe, dass jene, die ihre Ziele schriftlich fixiert hatten, im Vergleich mit den anderen sehr viel erfolgreicher waren. Die Studie ist nicht gänzlich unumstritten.
Einige angeführte Gründe klingen in meinen Ohren aber plausibel: Wenn wir unsere Ziele deutlich, positiv und konkret formulieren, sind wir zu gedanklicher Klarheit gezwungen. Das schriftliche Formulieren von Zielen verankert diese in unserem Bewusstsein und ist schon ein erster Schritt in die Realisierung. Mit schriftlichen Zielen lassen sich zudem Fortschritte kontrollieren, allfällig nötige Kurskorrekturen erkennen und Korrekturmassnahmen begründen, Erfolge feiern (Breyer, 2017).
GESUNDER OPTIMISMUS / OPTIMISMUS
Ein Forscherteam der australischen University of New England hat in einer 2016 veröffentlichten Studie systematisch Arbeiten aus dem Fachbereich der Psychologie untersucht, die sich der Förderung von Optimismus widmen. Die häufigste und auch erfolgreichste Intervention war The Best Possible Self Intervention, bei welcher die Teilnehmer*innen in regelmässigen Abständen eine halbe Stunde über ihre bestmögliche Zukunft nachdenken und schreiben (Obermüller, 2016).
Aber auch Proband*innen des von Pennebaker begründeten Expressiven Schreibens, die eingeladen waren, sich ihre schlimmsten Erlebnisse von der Seele zu schreiben, berichteten, dass sie sich in den Wochen und Monaten nach dem Schreibexperiment weniger depressiv oder negativ fühlten, dass ihre Ängste zurückgegangen seien und dass sie häufiger Optimismus und Glücksgefühle erlebten. (Pennebaker, 2010)
SELBSTWAHRNEHMUNG / ACHTSAMKEIT
Die Praxis der Achtsamkeit ist dem Schreiben grundsätzlich einverleibt, «weil sich Schreiben und Wahrnehmung in einem beständigen Wechselverhältnis befinden, in welchem Schreiben zur Achtsamkeit führt und die durch das Schreiben geförderte Wahrnehmung das Erleben vertieft» (Brüning & Lenz, 2019).
Schreibend trifft, erkundet, entdeckt man sich selbst und die eigene Lebenswelt. Achtsames Schreiben ist ein Schreiben mit allen Sinnen und somit Selbst- und Weltbegegnung, Selbstoffenbarung.
Dabei ist Schreiben auch immer ein Freilegungsprozess: «Innere Bilder, Gedanken und Gefühle, die danach drängen, ihren Ausdruck zu finden, brauchen in diesem Prozess einen offenen, leeren Raum», schreibt Doris Kirch vom Deutschen Fachzentrum für Achtsamkeit. Achtsames Schreiben erschliesse nicht zuletzt das Potenzial innerer Weisheit (Kirch, 2020).
SELBSTREFLEXION / SELBSTVERANTWORTUNG
Bei der Praxis von Selbstreflexion nehmen wir eine Meta-Position ein, betrachten uns also von aussen und reflektieren Reaktionen sowie unsere Denk- und Gefühlsmuster. Dabei lernen wir auch unsere Bedürfnisse besser kennen. Zudem kann es auch bei Traumata hilfreich sein, das Erlebte nicht bloss zu beschreiben, sondern in Variationen zu erzählen. Solche Variationen können durch Wechsel des Schreibstils, durch Verfremdung oder durch einen Wechsel der Perspektive erreicht werden (Brüning & Lenz, 2019). Schreibend kann ich zudem vom blossen Reagieren ins Möglichkeiten- und Tatenfeld des Agierens gelangen, schreibend kann ich mich aus der Opferrolle rausdenken, hinein in die Schöpferrolle kommen. Eben die Federführung übernehmen. Auf das eigene Denken und Wollen achten. Das eigene Handeln. Wirken. Sein.
SELBSTWIRKSAMKEIT
Positive Erlebnisse und Gefühle aus der Vergangenheit, die als Anker und Ressource dienen, lassen sich auch schriftlich abrufen. Wenn ich sie damals zu Papier gebracht habe, kann ich sie wieder und wieder lesen und beim Lesen zum Leben erwecken.
Wenn sie noch nicht in Textform festgehalten sind, kann ich mich bestmöglich zu erinnern versuchen und im Präsens einen Text verfassen, in dem ich nochmals intensiv reinsteige in die Situation, mit all meinen Sinnen, mit allen, noch abrufbaren, verfügbaren Details. Zudem lässt sich schreibend vor Augen führen, dass man sein (Er-)Leben selbst mitgestaltet – beispielsweise bei der Schreibübung Three Good Things von Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, bei der man abends drei Dinge zu Papier bringt, die einem tagsüber Freude bereitet haben, und gleich dazu notiert, was man selber dazu beigetragen hat (Seligman, Stehen, Park & Peterson, 2005).
KREATIVITÄT
Im Begriff Kreativität stecken zwei lateinische Wörter: creare (schöpfen) und crescere (geschehen). Kreativ sein bedeutet, in sich etwas Neues zu erzeugen und dieses Neue wachsen zu lassen (Heimes, 2012). Kreativität kann als schöpferische Kraft verstanden werden, als eine angeborene und entwickelbare Fähigkeit des Menschen bzw. lebender Systeme, die Welt zu «komponieren».
Dass sich eine kreative Beschäftigung wie Schreiben positiv auf unsere Gesundheit auswirkt, ist nicht zuletzt eine der zentralen Aussagen eines 2019 publizierten Berichtes des WHO-Regionalbüros für Europa, der die Erkenntnisse aus über 900 globalen Publikationen analysiert.
Und dass es dabei nicht zwingend auf die Qualität der Erzeugnisse ankommt, sagte schon Hermann Hesse (Lektüre für Minuten). Der Schriftsteller und Dichter war sogar überzeugt:
«Selbst das Machen schlechter Gedichte
ist beglückender
als das Lesen der allerschönsten.»
Alles gut, einfach schreiben?
Wie immer, wenn das Schreiben als Wundermittel vorgestellt wird, gilt es darauf hinzuweisen, dass sich nicht jedes Problem schreibend und im Alleingang lösen lässt. Es gibt professionelle Hilfe, die man beanspruchen kann, teils beanspruchen sollte, um im Kern zu gesunden: die Hilfe von therapeutisch, sozialpädagogisch, seelsorgerisch kompetenten Personen. Und trotzdem! Schreiben fördert einen Teil jener Selbstkompetenzen, die es braucht, um Visionen zu entwickeln, ein Wollen zu entwerfen, einen Soll-Zustand der Welt, widdewidde wie sie uns gefällt. Schreibend kultivieren wir unseren Explorationswillen, also unsere Neugier, unsere Kreativität und Fantasie, ja, auch unsere (künstlerische) Ausdrucksfähigkeit. Zudem lassen sich Verluste, Rückschläge und Ungewissheiten grundsätzlich besser verkraften, wenn wir uns ihrer schreibend annehmen. Oder mit den Worten von Malcolm in Macbeth: «Gib Worte deinem Schmerz: Gram, der nicht spricht, presst das beladne Herz, bis dass es bricht.»
Schreibend trainieren und kultivieren wir unsere Bambus-Qualitäten: Die schriftliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Wollen, Werden und Sein macht uns biegsam und elastisch, unbeugsam und stark.
Andrea Keller
Kulturvermittlerin, Autorin
und Schreibpädagogin
(MAS Biografisches & Kreatives Schreiben)
realisiert als Kreativ-Komplizin
und mit dem Studio Narrativ
Schreibkurse und Kulturprojekte.
Andrea Keller, Kulturvermittlerin, Autorin und Schreibpädagogin (MAS Biografisches & Kreatives Schreiben) realisiert als Kreativ-Komplizin und mit dem Studio Narrativ Schreibkurse und Kulturprojekte.
kreativ-komplizin.com | studio-narrativ.com
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Erstpublikation des Beitrages in:
SchreibRÄUME.
Magazin für Journal Writing,
Tagebuch und Memoir
Illustrationen: SchreibRÄUME
Erstpublikation des Beitrages in:
«SchreibRÄUME. Magazin für Journal Writing, Tagebuch und Memoir»
Illustrationen: SchreibRÄUME
Titelbild: kazuend, unsplash